In weniger als zwei Monaten läuft das Visum und damit auch das (vorläufige) Ultimatum für Edward Snowden aus. Doch was dann? Und was macht der Whistleblower eigentlich heute? Was hat er erreicht? Ein Blick in die vergangenen Monate und die die noch vor uns liegen mit der NSA, Snowden und dem Überwachungsstaat.
Was bisher geschah
Um es in zwei Worten zu sagen: Ziemlich viel. Am 6. Juni vergangenen Jahres ließen The Washington Post und The Guardian die Bombe platzen: „Top-secret Prism program claims direct access to servers of firms including Google, Apple and Facebook.“ Die NSA (National Security Agency) sammelt Millionen Telefondaten von Internet Usern. Dies geschähe seit 2005 mit Hilfe einer Software namens „Prism“.
Ein Jahr Edward Snowden – und alles hat sich geändert.
— alf frommer (@siegstyle) 5. Juni 2014
Drei Tage nach den ersten Enthüllungen: Edward Snowden ist der Name des Whistleblowers. Er wolle laut eigenen Angaben „Nicht in einer Gesellschaft leben, die so etwas macht. Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles was ich mache und sage aufgenommen wird.“ Seine größte Sorge war, dass sich nicht ändern werden. Darauf kommen wir später nochmal zurück. Jedenfalls ist der 30-jährige seit den Enthüllungen auf der Flucht.
Doch das war nicht einmal annähernd die Spitze des Eisbergs. Im Laufe der Zeit kam heraus, dass die NSA (amerikanischer Geheimdienst) als auch zahlreiche andere westliche Geheimdienste (u.a. der britische Geheimdienst GCHQ) das gesamte Internet überwachen. Dafür kämen viele Programme zum Einsatz: Prism, Tempora, X-Keyscore,Nucleon, Marina und viele weitere. Alle Teilprogramme des groß angelegten Überwachungsprogramm „Stellar Wind“. Auch auf die Datenbanken der großen Internet-Unternehmen wie zum Beispiel Apple, Google, Facebook oder Microsoft habe man Zugriff und könne somit jede Aktivität im Internet beobachten und analysieren. Um dies bewerkstelligen zu können, greifen die Geheimdienste wohl an den zentralen Internetknotenpunkten Daten ab.
Bild: teleGeography.com
Ein Statement der amerikanischen Regierung folgte schnell: Es gehe hier um den Schutz der Nation vor dem Terrorismus. Die Erhebung solcher Daten sei legal und die drei Staatsgewalten seien an der Ausführung des FISA beteiligt. Bereits in unserem letzten ausführlichen Artikel zum Abhörskandal erwähnten wir FISA:
Doch wie schafft es so ein Projekt überhaupt durchgesetzt zu werden – schließlich gibt es ja auch Gesetze, die die Privatsphäre aller Menschen regeln soll. Dafür gibt es eine einfache, dafür aber umso geheimnisvollere Erklärung: Das Fisa (Foreign Intelligence Surveillance Court) Gericht. Hier werden die meisten Wünsche der Regierung einfach so genehmigt. Meistens reicht für eine Spähaktion schon ein “hinreichender Verdacht”. Das Gericht an sich ist aber auch schon reichlich geheimnisvoll. Keine Adresse, keine Einsicht, keine Öffentlichkeit und allem voran die Sicherheit: Zwei Millionen Dollar kostete der Gerichtssaal. Das Fisa-Gericht hat nur eine Aufgabe: Es kümmert sich um die Spähaktionen (egal ob elektronisch und telefonisch) der USA im Ausland.
Zum Teil sei das alles aber auch gar nicht nötig, denn entsprechende Gesetzeslücken und sonstige geheime Hintertüren mach(t)en Abhörungen auch ohne Gerichtsbeschluss möglich.
Bis heute kamen unglaublich viele geheime Informationen ans Licht: Die NSA habe Zugriff auf Kreditkartendaten, es kam wohl massenhaft zur Industriespionage, Drohungen gegen The Guardian und Edward Snowden, hunderte Cyberattacken gegen den Osten, Überwachung auch bei nicht Internet-fähigen Computern und und und. Ein wirkliches Ende ist nicht wirklich in Sicht. Würde man ein Buch schreiben, welches alle Details auffasst und erläutert – es wäre deutlich länger als die Bibel.
Eine empfehlenswerte Timeline zu all den Ereignissen gibt es übrigens bei den Kollegen von heise online sowie der Washington Post. Ein ausführliches Archiv gibt es bei Zdnet: PRISM und die Mauer des Schweigens.
Und Edward Snowden? Der befindet sich (noch) in Russland. Zuvor floh er nach Hong Kong, dann nach Moskau. Wer weiß, was Snowden in den USA erwartet hätte, bzw. wird, sollte er wirklich dorthin ausgeliefert werden. Eine Anklage wegen Hochverrats wäre da sicherlich die offizielle Version… Und das für einen der größten Helden der vergangenen Jahre (Stichwort: Bradley Manning). Einem, der sein eigenes Leben opferte, seinen gutbezahlten Job, damit der Rest der Menschheit die Wahrheit erfährt. Damit er seine erste Bürgerpflicht eingehen kann.
Der Stand der Dinge
Mittlerweile scheint diese „Katastrophe“ größtenteils vergessen. Die meisten Medien haben andere Themen gefunden, die sie relevanter fanden. Die Politiker spielen alles runter, allen voran unsere Regierung (#Neuland). Man wolle die guten Geschäftsbeziehungen mit der U-Stasi-A nicht behindern, heißt es. Und das obwohl die Mehrheit des Deutschen Volkes sich für eine Aufnahme von Edward Snowden ausgesprochen hat.
Die Relevanz zum Thema „Überwachung durch Geheimdienste“ scheint weitestgehend untergegangen zu sein. Platziert selbst die ARD ein exklusives Interview mit Snowden in die späte(ste)n Abendstunden. Selbst beim diesjährigen Webvideopreis konnte ein herausragendes Video zum Thema Überwachungsstaat nicht gewinnen. Die FAZ traf es ziemlich gut:
Großartige Videos, wie etwa Manniacs Exkurs zum Überwachungsstaat, gingen deshalb leer aus, obwohl gleich in zwei Kategorien nominiert. Das ist für Videos aus dem Jahr der Snowden-Enthüllungen ein ziemliches Armutszeugnis.
Was zukünftig geschehen könnte
Nichts. Die Politiker interessiert es schlichtweg nicht. Die NSA hat tausendfach Gesetze gebrochen (von den Menschenrechten mal abgesehen), aber wen kümmert es? Strafen gibt es keine, wer kann schon den Staat zur Rechenschaft ziehen, wenn dieser alle Macht hat. Wenn diese alles und jeden überwachen kann. Und wenn es die meisten Bürger sagen: “ Ich habe nichts zu verbergen“ ist das ein ziemliches Armutszeugnis und zeugt von dem Interesse/ Angst, überhaupt von der Relevanz der dieser Skandal bei uns hat. „Alle Macht geht vom Volke aus“ – aber das Volk will offenbar gar keine Macht ausüben! Edward Snowden bezeichnete „seine Mission“ als Erfolg: Er habe bereits gewonnen.
Solange wir, die Menschen, die Mehrheit, nicht auf die Straße gehen und uns wirklich gegen solche massiven Verbrechen wehren, wird sich auch absolut nichts ändern.
(Titelbild via Shutterstock)